Donnerstag, 23. Mai 2013

Thomas Hürlimann: Der Filialleiter [Die Kurzgeschichte weiterschreiben.]


[Vorgegebener Anfang]
Als der Filialleiter des Supermarktes auf dem Fernsehschirm seine Frau erblickte, erschrak
er zu Tode. Nein, er täuschte sich nicht – das erste Programm zeigte Maria-Lisa, seine eigene Frau. Im schicken Blauen sass sie in einer grösseren Runde, und gerade jetzt, da der
Filialleiter seinen Schock überwunden glaubte, wurde Maria-Lisa von der Moderatorin  gefragt, was sie für ihren Ehemann empfinde.
«Nichts», sagte Maria-Lisa.
«Maria-Lisa!», entfuhr es dem Filialleiter, und mit zittriger Hand suchte er den Unterarm
seiner Frau. Wie jeden Abend sassen sie nebeneinander vor dem Fernseher, und beide
hatten ihre Füsse in rote Plastikeimerchen gestellt, in ein lauwarmes Kamillenbad – das
stundenlange Stehen im Supermarkt machte ihnen zu schaffen.
Die Bildschirm-Maria-Lisa lächelte. Dann erklärte sie, über den Hass, ehrlich gesagt, sei sie
schon hinaus.
Der Filialleiter hielt immer noch Maria-Lisas Arm. Er schnaufte, krallte seine Finger in ihr
Fleisch und stierte in den Kasten. Hier, fand er, war sie flacher als im Leben. Sie hatte ihr
Was-darfs-denn-sein-Gesicht aufgesetzt und bemerkte leise, aber dezidiert: «Mein Willy
ekelt mich an.»
Und das in Grossaufnahme!

Quelle

[Ende]
Der Filialleiter rastet völlig aus, währenddessen seine Frau die Ruhe selbst war. Kein Zucken. Keinerlei Regung der Gesichtsmimik. Sie hatte einzig und allein dieses unverschämte Grinsen auf den Lippen. Und so geht es dann noch den ganze Abend weiter. Die Spannung zwischen beiden wiegt sich zunehmend ,der fortgeschrittenen Zeit der Serie, hoch. Schließlich, als das Ende der Serie erreicht war, brachen beide in Lachen aus.

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